Thumbsucker

Justin Cobb könnte ein ganz normaler Teenager sein. Ist er eigentlich auch, abgesehen von der Tatsache, dass er mit 17 Jahren nicht aufhören kann, an seinem Daumen zu lutschen. Seine Eltern Audrey und Mike (Tilda Swinton und Vincent D’Onofrio) betrachten dies mit Sorge und sind bemüht ihrem Sohn zu helfen. Der trägt sich darüber hinaus mit den üblichen Teenagerängsten und Problemen herum. Mädchen, Drogen, Mitschüler, mangelndes Selbstwertgefühl, die Schule ganz allgemein. Im Laufe des Films versucht Justins Kieferorthopäde Perry (Keanu Reeves) sich ebenso an der Lösung des Problems wie sein Vater und schließlich eine Schulpsychologin, die – selbstverständlich in den USA – eine Behandlung mit Pillen im Sinn hat.Ohne unnötige Übertreibungen und Effekthascherei verfolgt dieses klassische Coming-of-Age-Drama seine Hauptfigur bei seinen vielfältigen Versuchen, sich in der Welt zurecht zu finden. Neben seinen Eltern orientiert er sich dabei an weiteren „Vorbildern“ wie etwa Mr. Geary, dem Lehrer des Debattierclubs (Vince Vaughn), oder der hübschen Mitschülerin Rebecca, die sich von einer sozial gesinnten Einser-Schülerin zur dauerbekifften Hängerin wandelt. Ihrem Status als Justins Angebetete tut diese Metamorphose dabei keinen Abbruch. Genreüblich gibt es keinen zentralen Plot, der vorangetrieben werden müsste. Geschildert wird Justins Entwicklung vom unsicheren Einzelgänger zum aufgeputschten Star des Debattier-Clubs, bis er schließlich in der Nähe seines wahren Selbst ankommt.

Getragen wird der Film ohne Zweifel von seinen großartigen Darstellern. Die große Riege bekannter Mimen, die nur selten in Nebenrollen zu sehen sind, sorgt keineswegs für Ablenkung, weil sich alle auf ihre kleinen, aber feinen Rollen konzentrieren und sie unaufdringlich und glaubwürdig ausfüllen. Die andere große Stärke ist die unaufgeregte, humorvolle Inszenierung, die allen Figuren genug Raum gibt und platte Übertreibungen meidet. Nur selten von Musik unterlegt konzentriert sich „Thumbsucker“ auf die Dialoge und das weitgehend klischeefreie Spiel seiner jungen Hauptdarsteller Lou Taylor Pucci (Justin) und Kelli Garner (Rebecca).

Am besten haben mir die kleinen Details gefallen, mit denen Regisseur Mike Mills (nicht der REM-Bassist) seinen Film angereichert hat. So gewinnt Kieferorthopäde Perry jedes Jahr den Halbmarathon der Gemeinde gegen Justins Vater Mike, einen ehemaligen Footballspieler, und erkundigt sich bei Justin, ob der ihn deswegen meidet. Justins erster Auftritt in seinem Debattierclub zeigt ihn, wie er Rebecca eifrig das Wort redet, was Lehrer Mr. Geary zu den Worten veranlasst: „This is not agree club – it’s debate club, Justin.“. Dem Film gelingen überdurchschnittlich viele gute Szenen, und nur ganz am Ende schießt er ein wenig über das Ziel hinaus. Der Rest ist gekonnt ausbalanciert zwischen Komik und Ernst. Ins Kino wird diese kleine Independent-Produktion trotzdem eher wenige Zuschauer locken. Schade eigentlich.

8/10