Chris Evans war zuletzt in „Captain America – The First Avenger“ zu sehen, als Superheld also. In seinem neuen Film spielt er – auch im Vergleich zu früheren Rollen – eine völlig andere Figur. Mike Weiss ist Anwalt, und mit seinem Partner Paul Danziger (Mark Kassen) auf Schadensersatz-Fälle spezialisiert. Weiss ist ein sehr guter Anwalt, der im Stande ist, seine Fälle messerscharf zu analysieren. Er ist außerdem aber auch ein großer Freund aller möglich Drogen – Kokain, Heroin, Pot, Pillen. Irgendwas braucht er immer, um den Motor am laufen zu halten.
Damit ist „Puncture“ ein wenig die Justizthriller-Version von „Half Nelson“, dem Drama um einen cracksüchtigen Lehrer, für das Ryan Gosling eine Oscar-Nominierung einheimsen konnte. Weiss und Danziger geraten an den Fall einer Krankenschwester, die sich durch eine Spritze im Krankenhaus mit HIV infiziert hat. Solche Unfälle, so lernen die beiden, sind leider normal. Der Skandal bei der Sache ist, dass es längst sichere Spritzen gibt – doch die großen Gesundheitskonzerne sich wegen des höheren Preises weigern, sie auch einzusetzen. Das Ganze basiert auf einer wahren Begebenheit, hier der kurze Wikipedia-Eintrag dazu.
Mit ihrer kleinen Kanzlei führen die beiden ungleichen Anwälte (Danziger ist ein bedächtiger Typ, dessen Frau hochschwanger ist) bald den Kampf David gegen Goliath. Denn die Lobby der marktbeherrschenden Unternehmen hat natürlich nicht vor, sich so einfach geschlagen zu geben. Personifiziert wird sie im Film von selbstherrlichen Anwalt Price (Brett Cullen), der auch auf die psychologische Kriegsführung setzt um seine Mandanten zu schützen.
„Puncture“ erzählt seine Story relativ geradlinig und ohne Schnörkel. Neben dem juristischen Drama liegt das Augenmerk auf der Figur von Weiss. Evans spielt ihn als charismatischen Typen, äußerst clever, aber mit deutlichem Hang zur Selbstzerstörung. Seine Auftritte vor Gericht probt er gerne aufgeputscht von Koks mit zwielichtigen Gestalten in einem Motelzimmer, wichtige Termine verpennt er im Rausch.
Weiss ist ein interessanter Charakter, wobei der Film eine Erklärung für seinen Hang zur Selbstzerstörung weitgehend schuldig bleibt. Dass er trotzdem glaubwürdig ist liegt an Evans exzellenter Darstellung. Auch der Rest des Ensembles braucht sich nicht zu verstecken. Mit dabei sind neben den erwähnten Schauspielern noch Vinessa Shaw („Eyes Wide Shut“), Michael Biehn („Terminator“) und Kate Burton („127 Hours“).
Wohl weil „Puncture“ eine Independent-Produktion ist verzichtet er darauf, in vielen Szenen arg auf die Tränendrüse zu drücken. Die Rolle der infizierten Krankenschwester etwa wäre in einem Mainstream-Film sicher viel mehr in den Vordergrund gerückt. Stattdessen erlaubt sich der Film eine insgesamt recht dunkle Inszenierung, die sich – bis auf wenige Ausnahmen – sehr ernsthaft und in sich stimmig auf das große Finale zubewegt. Als Charakterstudie war „Half Nelson“ sicher der bessere Film, aber dafür dass „Puncture“ neben seiner schillernden Hauptfigur noch ein Justiz-Drama unterbringen muss hat er seine Sache sehr gut gemacht.
4/5
PS: „Puncture“ wird in Deutschland als DVD-Premiere erscheinen – einen Starttermin konnte ich nicht herausfinden.