Western, USA 2015
Regie: Quentin Tarantino; Darsteller: Samuel L. Jackson, Kurt Russell, Jennifer Jason Leigh, Walton Goggins
Die Zeit: Das 19. Jahrhundert. Die Location: die Rocky Mountains im Nordwesten der USA. Hmm, da klingelt doch was? Kurz nach „The Revenant“ kommt dieses eigentlich ungewöhnliche Setting erneut ins Kino (auch wenn die Stories zeitlich locker 50 Jahre auseinander liegen). Es ist offenbar einfach Zufall, aber trotzdem bemerkenswert, dass sich gleich zwei große Regisseure quasi zeitgleich mit dem Wilden (Nord-)Westen beschäftigen. Soviel Eiseskälte in Verbindung mit extremer Brutalität war selten im Kino.
Die Unterschiede zwischen den beiden Filmen überwiegen dann allerdings insgesamt deutlich. Tarantino erzählt in „The Hateful Eight“ von einem Kopfgeldjäger (Russell), der in einer Kutsche eine Gefangene (Leigh) in die Kleinstadt Red Rock bringen will. Auf dem Weg gesellen sich zwei weitere Gestalten dazu, schließlich treibt ein Schneesturm die vier in ‚Minnies Haberdashery‘ – wo sich von da an fast die komplette Handlung abspielt.
Eine Stärke des Films ist, dass man lange rätselt, was Tarantino hier eigentlich im Schilde führt. Der Film nimmt sich viel Zeit die Figuren einzuführen und in langen (wie üblich extrem pointierten) Dialogen die Spannungen zwischen ihnen ans Licht zu bringen. Da ist der schwarze Ex-Major der Nordstaaten (Jackson), ein alter Veteran der Südstaaten (Bruce Dern), ein fadenscheiniger Fremder (Michael Madsen), der örtliche Henker (Tim Roth) und ein Mexikaner, der die ‚Haberdashery‘ in Vertretung für dessen Besitzerin führt. Der achte im Bunde wird gespielt von Walton Goggins, der sich als ’nächster Sheriff von Red Rock‘ vorstellt.
Mit knapp 3 Stunden Spielzeit (in der Kurzversion, die 70mm-Version ist sechs Minuten länger plus 12-minütige Intermisson) ist „The Hateful Eight“ eindeutig einen Tick zu lang geraten. Nicht, dass es am Ende kein großes Finale mit einigen Überraschungen gäbe, welches von dem ausführlichen Setup profitiert. Das gibt es in der Tat – man kann aber ohne Spoiler nicht drüber schreiben. Aber zwischendurch ergeben sich Längen, bei denen die Dialoge – wenn auch nur scheinbar – zum Selbstzweck werden und die Geduld des Publikums etwas überstrapazieren.
Auf einige Dinge ist bei Tarantino immer Verlass, das ist bei seinem neuesten Streich nicht anders. Der Regisseur zementiert seinen Ruf als Casting-Genie, der Soundtrack von Ennio Morricone ist ein Volltreffer. Es gibt explosive Gewalt, die hier nicht nur schwarzhumorig, sondern auch verstörend rüberkommt, und eine Vielzahl von Details und Anspielungen, die sich sicher erst beim x-ten Durchlauf vollständig erschließen lassen. Auch überraschen kann Tarantino sein Publikum, wenngleich hier Anleihen bei seinem eigenen Schaffen zu erkennen sind (vor allem „Reservoir Dogs“).
Ich denke „The Hateful Eight“ wird nicht zu meinen Lieblingsfilmen von Tarantino gehören, wenn ich mir nach dem zweiten oder dritten mal ansehen ein ‚endgültiges‘ Urteil anmaße. Ganz ausschließen will ich es aber auch nicht – denn angesichts der Story-Drehs ergibt sich für einen Zuschauer, der das Finale kennt, ganz sicher ein neuer und interessanter Blick auf die ersten zwei Stunden der Handlung. In ein paar Monaten werde ich das gespannt ausprobieren…
4/5