Top 10 2006


Babel

Von Regisseur Alejandro Inarritu ist man von „Amores Perros“ und „21 Gramm“ bereits gewöhnt, daß er pro Film gerne mehrere Geschichten miteinander verwebt. So auch in „Babel“, der sich in vier Geschichten mit den globalen Problemen zwischenmenschlicher Kommunikation befasst. Meine Befürchtung, die verschachtelte Erzählweise könnte zur langweiligen Masche werden erwies sich als unbegründet. Alle Geschichten sind glaubwürdig entwickelt, gut gespielt und finden ein passendes Ende. Kleinere Längen sind angesichts des zuweilen äußerst packenden Stoffes problemlos zu verzeihen. Nahtlos verdichten sich die in Marokko, Japan und Mexiko spielenden Geschichten zu einem anspruchsvollen, nicht ganz leicht verdaulichen Stück Kino.

Casino Royale
Neben vielen positiven Kritiken meldeten sich angesichts der härteren Gangart im neuen Bondfilm auch Kritiker, die die Leichtigkeit und den Witz früherer Tage vermissten. Nicht ganz verkehrt, aber dahin muss unsere frisch gebackene Doppel-Null vielleicht erst einmal kommen. Solange hat Daniel Craig noch zu kämpfen, macht dabei jedoch seine Sache beeindruckend gut. Das Drehbuch verzichtet auf völlig überzeichnete Bösewichte ebenso wie auf die zuletzt arg computerlastigen Tricks und bietet stattdessen einen recht altmodischen Thrill, der dem Film sehr gut zu Gesicht steht. Der Anfang ist gemacht, und er weckt berechtigte Hoffnungen auf eine konsequente Weiterführung des neu erfundenen blonden Bonds.

Children of Men
Science-Fiction ohne Aliens fand ich ja schon immer gut, und in genau diese Kerbe schlägt dieser düstere Film von Alfonso Cuaron. Eine gänzlich impotente Menschheit lebt im Großbritannien der nahen Zukunft unter einer Diktatur, die ihren Bürgern kaum Luft zum Atmen lässt. Clive Owen wird vom gemütlichen Trinker zum Held und macht dabei eine sehr gute Figur. Cuaron hat Actionsequenzen parat, die ohne Zweifel zu den packendsten des Jahres gehören, und die zum Glück auch noch eingebettet sind in eine gelungene, stimmig erzählte Geschichte.

Departed – Unter Feinden
Scorsese taucht immer gerne in Top-10-Listen von mir auf, das gebe ich gerne zu. Sein jüngster Film „The Departed“ ist eine wahre Augenweide, ein großartig besetzter, unglaublich spannender Thriller. Es mag viele Gründe gegen Hollywood-Remakes von europäischen und asiatischen Filmen geben, Scorsese liefert den Beweis, daß man es auch richtig machen kann.

Das Leben der Anderen
Auch wenn ich diesen Film von Florian Henckel von Donnersmarck erst vor zwei Tagen gesehen habe, stelle ich „Das Leben der Anderen“ ohne zu Zögern neu in diese Liste. „München“ fällt daher raus, landet aber sicher in der Kategorie „Knapp daneben ist auch vorbei“, siehe unten. Donnersmarcks Film ist ein großartig gespieltes Drama, auf das Nötigste reduziert und dabeiso spannend, dass Alfred Hitchcock sicher seine Freude dran gehabt hätte. Es ist immer schön einen deutschen Film generell loben zu können, nicht unter der Prämisse „für einen deutschen Film nicht schlecht…“. Und so ist das mit „Das Leben der Anderen“, man kann ihn getrost jedem empfehlen, der Filme mag.

The New World
Terrence Malick ist vom schöpferischen Output noch fauler als Kollege Tarantino. Über zehn Jahre ist „Der schmale Grad“ alt geworden, bevor der Meister uns einen Nachfolger schenkte. Seine Version der Geschichte der schönen Indianertochter Pocahontas wirft einen zutiefst unschuldigen Blick auf die Besiedlung Amerikas zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Das Aufeinandertreffen der verschiedenen Kulturen schildert er feinfühlig, aber frei von Kitsch. Grandiose Landschaftsaufnahmen und das zurückgezogene Spiel der Schauspieler sorgen für eine wunderbar authentische, natürliche Stimmung und machen „The New World“ zu einem Fest für die Sinne.

Syriana
Gleich zu Beginn des Jahres brachte „Syriana“ die Tagespolitik ins Kino und ging in verschiedenen Handlungsfäden der Frage nach, wie das internationale Ölgeschäft so funktioniert. Nach diesem Film von Stephen Gagham wissen wir Bescheid: es ist in erster Linie sehr kompliziert. Geheimdienste, Lobbyisten, Regierungen und Schattenmänner ziehen die Fäden, was „Syriana“ durch einige (fiktive) Einzelschicksale deutlich macht. Ohne plakativ zu sein ist der Film doch gewagt genug, um einigen Mächtigen auf die Füße zu treten, vermeidet dabei aber allzu simple Schuldzuweisungen. Im besten Sinne interessant ist „Syriana“ gewissermaßen der „Traffic“ des Ölgeschäfts.

Thank You For Smoking
Aaron Eckhart spielt hier die Rolle seines Lebens: Als Sprecher der Tabakindustrie kämpft er ganz sicher auf der Seite der Bösen, ist dabei aber so umwerfend charmant und gut, dass es dem Publikum bald völlig egal ist. Mit viel schwarzem Humor erklärt „Thank You for Smoking“ der Political Correctness den Krieg, und wird dabei zu einem der besten Komödien des Jahres. Angereichert mit einem unterhaltsamen Vater-Sohn-Drama umschifft der Film von Jason Reitman alle seifigen und schwülstigen Gewässer und endet auf einer äußerst treffenden Note.

Eine unbequeme Wahrheit
Ein Dokumentarfilm ist immer dann besonders gut, wenn er glaubwürdig und gezielt seine Argumente ausbreitet, dabei aktuell ist und das Publikum trotzdem bei Laune hält. Insofern hat Davis Guggenheim mit „An Inconvenient Truth“ alles richtig gemacht. Ex-Vizepräsident Al Gore doziert mit Herz, Witz und Verstand, warum die Welt (und vor allem die USA) in Sachen Klimawandel und Umweltschutz endlich zu handeln anfangen muss. Ohne sich übermäßig als Messias zu feiern feuert Gore seine treffenden Argumente ins Publikum und nutzt dafür geschickt seine Popularität. Sollte man gesehen haben, ganz ehrlich.

Die Zeit die bleibt
Francois Ozon hat sich im europäischen Kino einen festen Platz erobert. Er war mit dem Krimi-Musical „8Frauen“ erfolgreich, schenkte dem Publikum danach den cleveren „Swimming Pool“ sowie das nachdenkliche Portrait einer Ehe, „5×2“. Dieses Jahr drehte er einen ernsthaften Film über den Tod, wobei er es schaffte Tragik, Humor und viele leise Zwischentöne zu einem berührenden Ganzen zu verweben. In der Hauptrolle glänzend gespielt von Melvil Poupaud ist „Die Zeit die bleibt“ auch ansonsten nahezu makellos und jedem Freund des zeitgenössischen europäischen Film besonders zu empfehlen.

Beinahe in den Top 10:
Good Night, and Good Luck

Wahre Lügen
München
The Science of Sleep
Apocalypto