Regisseur Terry Gilliams ist bekannt für seine überwältigende Fantasie. In seinen Filmen ist das Außergewöhnliche die Normalität, sei es etwa in dem kafkaesquen Science-Fiction-Film „Brazil“, im Drama „König der Fischer“, im Drogentrip „Fear and Loathing in Las Vegas“ oder zuletzt in „Tideland“. Sein neuer Film „The Imaginarium of Dr. Parnassus“ macht da keine Ausnahme. Auch hier ist die Welt, wie wir sie kennen, nur die halbe Wahrheit, und jenseits von „Dr. Parnassus“ magischem Spiegel liegen noch ganz andere Welten.
Der Film spielt im London der Gegenwart, doch die Hauptfiguren scheinen eher aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts zu stammen. Mit einer mobilen, von Pferden gezogenen Jahrmarktbude zieht der uralte Dr. Parnassus durch die Stadt. Mit dabei sind seine 15-jährige Tochter Valentina (Lily Cole), der junge Anton (Andrew Garfield, „Boy A“) und der Gnom Percy (Verne „Mini Me“ Troyer). An allen möglichen dunklen Ecken der Stadt beginnen sie ihre Show in bester Schaustellermanier mit Mummenschanz und Gauklerei.
Der alte Parnassus bekommt bald Besuch von einem alten Bekannten. Der Teufel persönlich gibt sich die Ehre, in Gestalt vom ganz in Schwarz gekleideten Tom Waits. In grauer Vorzeit hat sich der alte Doktor auf eine Wette mit ihm eingelassen, und nun ist die Zeit gekommen, seine Schuld zu begleichen. Doch ein unerwartetes Ereignis verdrängt vorübergehend die betrübte Stimmung. Anton und Valentina retten einem jungen Mann, der an einem Strick unter einer Brücke aufgehangen hat, das Leben.
Dieser Mann ist Tony (Heath Ledger), und hat keinerlei Erinnerung daran, wie er unter die Brücke geraten ist. Bald gehört Tony – trotz einiger Spannungen mit Anton wegen der schönen Valentina – mit zu dem merkwürdigen Trupp anachronistischer Gaukler. Langsam erfahren seinen neuen Kollegen etwas genauer, wer er eigentlich ist und wer er vorher mal war… Die Lage mit dem Teufel spitzt sich bald zu, und Dr. Parnassus läuft die Zeit davon, um das Blatt noch einmal zu wenden.
Weil Hauptdarsteller Heath Ledger im Januar 2008 während der Dreharbeiten verstarb, musste sich Terry Gilliam etwas einfallen lassen, um seinen Film noch fertig drehen zu können. Zum Glück gibt es da ja den magischen Spiegel in eine andere Welt – und in dieser Welt ist alles anders. Und so wird die Figur von Tony hinter dem Spiegel von gleich drei verschiedenen Darstellern gespielt. Als Ledgers/Tonys alter ego geben sich Johnny Depp, Jude Law und Colin Farell die Ehre. Und dieser Trick funktioniert so gut, dass man ihn wohl gar nicht bemerkt hätte, wenn die spektakuläre Neubesetzung nicht mächtig viel Schlagzeilen gemacht hätte.
Die größte Stärke des „Imaginarium of Dr. Parnassus“ sind die fantastischen Parallelwelten, in den keine irdischen Gesetze gelten. Die unterschiedlichsten Räume und Welten gehen ineinander über, visuell schwankt der Film zwischen altmodischen Kulissen, monumentalen CGI-Einstellungen und traumartigen, grotesken Verwirrspielen. Die skurillen Charaktere um den ‚tausendjährigen‘ Dr. Parnassus und den immer mal wieder mit einer Zigarette vorbei schauenden Teufel sorgen für heiteres Geschehen.
Zuweilen sind auch einige Längen drin, was unter anderem auch der kruden, nicht immer stringenten Handlung geschuldet ist. Letzten Endes jedoch ist Gilliams neuester Streich eine unterhaltsame und faszinierende Reise durch außergewöhnliche Welten. Die immer spürbare Freude am Geschichten erzählen macht diesen merkwürdigen, einzigartigen Film zu einem großen Vergnügen. Und zu einem äußerst gelungenen Start ins neue Kinojahr.
4/5