Bernardo Bertolucci, Regisseur von „1900“ und „Little Buddha“, begibt sich mit seinem neuesten Werk zurück in das Paris des Jahres 1968. Vor dem Hintergrund wachsender Studentenproteste, Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und einer allgemeinen Aufbruchsstimmung erzählt er die Geschichte einer besonderen Freundschaft. Der junge Amerikaner Matthew (Michael Pitt) ist eigentlich zum studieren in Paris, aber viel lieber verbringt er seine Zeit im Kino. Seine Filmbegeisterung teilen auch die Zwillinge Theo (Louis Garrel) und Isabelle (Eva Green), deren Eltern gerade eine mehrwöchige Reise antreten wollen. Eingeladen von seinen neuen Freunden bezieht Matthew in der geräumigen Wohnung der Zwillinge Quartier. Die drei genießen ihre Freiheit, diskutieren über Filme, trinken Rotwein und lassen sich treiben.
Matthew, der sich vom ersten Moment an in Isabelle verliebt hat, ist von dem wilden Leben fasziniert, wenn er auch langsam feststellen muss, dass die innige Beziehung der Zwillinge auch seine Schattenseiten hat. Nachdem er ? unter den Augen ihres Bruders ? mit Isabelle geschlafen hat, sind die letzten Barrieren gefallen. Quasi abgeschottet von der Aussenwelt verleben sie ihre Tage. Die drei zelebrieren ihre Verschworenheit, müssen aber schließlich ? jeder auf seine Art – erkennen, dass sie keine gemeinsame Zukunft zu erwarten haben. Die komplizierte Dreiecksbeziehung im Zentrum von „The Dreamers“ erinnert ein wenig an Philip Kaufmans sehenswerten „Henry & June“, wobei Bertolucci in Sachen Nackheit noch um einiges weiter geht als sein Kollege. Präsentiert wird die Geschichte geradeheraus, versehen mit einem gelegentlich wiederkehrenden Off-Kommentar von Matthew.
Einen Plot im klassischen Sinne hat „The Dreamers“ nicht zu bieten, es genügen die Figuren und ihre kurze, gemeinsame Zeit. Zu den wenigen weiteren Figuren von Bedeutung zählen die Eltern der Geschwister, deren Szenen am Anfang und am Ende zu den stärksten des Films zählen. Große Bedeutung kommt auch der großen, verwinkelten Altbauwohnung zu, in der sich fast das gesamte Geschehen abspielt. Begleitet von einem herrlichen Soundtrack bringt Bertolucci hier die Sechziger Jahre auf die Leinwand. Die Studentenunruhen und das zunehmende Chaos in der Stadt, auch das Produktionsdesign, alles wirkt echt und hat nichts requisitenhaftes. Die Hauptdarsteller überzeugen ebenfalls allesamt, wobei sie auch die kniffligen, teils äußerst freizügigen Szenen meist problemlos spielen.
Die größte Stärke des Films ist jedoch die nuanciert erzählte Geschichte. Sie reflektiert Überlegungen zu Kino, Zeitgeist, Krieg und Moral ohne den Zuschauer damit zu überfordern oder überhaupt anzustrengen. Die genau portraitierte Welt der bürgerlichen Wohlstandskinder, die die Freiheit ihrer Generation genießen wollen, ist keine bloße Seligsprechung der Vergangenheit. Im Spannungsfeld zwischen Kino und wahrem Leben suchen die Figuren ihre eigenen Wege. Ihnen dabei zuzusehen ist nicht immer angenehm, doch stets interessant im besten Sinne und dabei niemals langweilig. Insbesondere für Filmfreunde ist „The Dreamers“ sicher zu empfehlen, wobei man keineswegs alle der zitierten Filme kennen muss – die Begeisterung von Matthew, Isabelle und Theo für das Kino versteht man auch so.
10/10