Er mag nicht mehr der Jüngste sein, aber Woody Allens künstlerischer Output ist immer noch beeindruckend. Jedes Jahr bringt der kleine Mann einen neuen Film heraus, und auch wenn hin und wieder mal ein schwächerer dabei ist ? die neunzig Minuten seiner Streifen vergehen in der Regel wie im Flug und hinterlassen keineswegs das Gefühl, man hätte seine Zeit vertan. Alles andere als Zeitverschwendung ist auch Allens neuestes Werk, ?Melinda and Melinda?. Mit der Gelassenheit eines alten Meisters hat er einen Film über Kreativität, Filmschaffen und ? natürlich ? über mit ihrem Leben irgendwie unzufriedene Einwohner Manhattans gedreht.
Die Rahmenhandlung bildet eine Tischrunde in einem chinesischen Restaurant, in der vier muntere Intellektuelle beisammen sitzen. Während einer als Freund der Komödie auftritt, ist sein Kollege eher der Tragödie zugeneigt, und dies trifft auch auf ihre Wahrnehmung des Lebens generell zu. Ein dritter schlägt ein Experiment vor: er erzählt den Anfang einer wahren Geschichte, die einer gewissen Melinda. Diese junge Frau platzt unangemeldet in die gesittete Dinnerparty eines Ehepaars herein. Was treibt sie dahin? Woher kommt sie? Wie reagiert die Gesellschaft? Feste Größen in den folgenden zwei Geschichten sind die Ehemänner der Dinnergastgeber, die beide Schauspieler sind, außerdem vom Ehepaar unternommene Kupplungsversuche und Bekanntschaften Melindas mit Pianisten.
Radha Mitchell verkörpert in beiden Erzählsträngen die Melinda. Einmal ist sie eine alte Freundin mit psychischen Problemen, die im Hause von Lee (Jonny Lee Miller) und Laurel (Chloe Sevigny) Unterschlupf sucht, um ihrer turbulenten Vergangenheit zu entkommen. In der zweiten Version der Geschichte ist sie die neue Nachbarin von Hobie (Will Ferrell) und Susan (Amanda Peet), und stört dort eine Runde, in der die Filmemacherin Susan Geld für ihren neuen Film sammeln will. Der Film schneidet nun zwischen den beiden Stories hin und her, und richtet seinen Fokus zunehmend auch auf die anderen Hauptdarsteller, für die Melindas plötzliches Erscheinen mitunter weitgehende Konsequenzen hat.
Ein wahrer Glücksfall ist die Besetzung von Will Ferrell als Hobie. Dem exzellenten Komiker, der bis jetzt meist in Klamotten wie ?Old School? verheizt wurde folgt die Kamera hier zeitweise sogar, wenn die Action ganz woanders spielt. Er ist mit seinem Unglück und seinem herrlichen Witz am ehesten ein ?Ersatz? für Woody Allen, der hier ausschließlich hinter der Leinwand fungiert. Radha Mitchell überzeugt in der schwierigen Doppelrolle, immerhin muss sie in zwei unterschiedlichen Filmen spielen, in der sie jeweils die meisten Szenen hat. Gekonnt bringt sie die Unterschiede der beiden Melindas zum Ausdruck.
Der Experiment-Charakter nimmt die Enden der beiden Erzählungen gewissermaßen vorweg, weshalb ?Melinda and Melinda? kein leidlich spannender Film geworden ist. Wohl aber einer, der dem Zuschauer eine Vielzahl interessanter Charaktere zu bieten hat, deren Taten und Motive durch den quasi zwangsläufigen Ablauf des Geschehens hin und wieder ein wenig gezwungen wirken. So lernt Melinda in der tragischen Episode einen sympathischen Pianisten namens Ellis kennen, der bald feststellt, dass ihre Freundin Laurel eine außergewöhnlich begabte Klavierspielerin ist? Die andere Melinda lernt ? nach einem brüllend komischen Verkupplungsversuch mit einem Milliardär – ebenfalls einen Pianisten kennen, sehr zum Missfallen von Hobie, der sich in seine neue Nachbarin verliebt hat, sich jedoch nicht traut, seiner Frau die Wahrheit zu sagen.
Woody Allen geht mit seiner Idee hohe Risiken ein, indem er dem Zuschauer vorführt, wie ihn das Medium Film manipuliert, und er ihm die Entstehung einer fiktiven Geschichte aus dem Nichts heraus verdeutlicht. Während der Regisseur selber in früheren Werken häufig mit den von ihm gespielten Figuren gleichgesetzt wurde, weil einige Anleihen bei der Realität nicht zu übersehen waren, gibt es in ?Melinda and Melinda? nur den realistischen Rahmen einer über Wesen und Sinn von Komödie und Tragödie diskutierenden Tischrunde, der Großteil des Films dagegen ist offensichtlich pure Fiktion und hat einen speziellen sekundären Charakter. Dass sein Film trotzdem nicht den unangenehmen Beigeschmack einer Stilübung hat, liegt an der meisterhaften, lakonischen Inszenierung und der sehr guten Besetzung. Nicht zu vergessen auch die vielen köstlichen Dialoge und der einzigartige Humor eines typischen Woody Allen Films. Und die Freude geht noch weiter, schließlich arbeitet der alte Herr schon wieder an einem neuen Werk.