Flug 93 (DVD)

Am 11. September 2001 wurden, so erzählen es die seriösen Medien, vier Passagierflugzeuge an der US-Ostküste entführt. Zwei von ihnen wurden von den islamistischen Attentätern in die Türme des World Trade Centers geflogen, eines stürzte ins Pentagon. Die Bilder der Katastrophe haben weltweit für Aufsehen gesorgt, die politischen Folgen des Anschlags flimmern heute noch über jeden Fernseher. Anders als in Europa hat auch die Geschichte des vierten Flugzeugs in den USA für große Schlagzeilen gesorgt. Der Flug United Airlines 93 mit Ziel San Francisco wurde ebenfalls von Selbstmordattentätern in ihre Gewalt gebracht, die Maschine nahm Kurs auf das Washington, DC. Doch diese Flugzeugentführung endete nicht wie von den Kidnappern geplant, United 93 stürzte auf ein Feld im Bundesstaat Pennsylvania, niemand überlebte das Unglück.Anhand des Flugschreibers und durch aufgezeichnete Anrufe der Passagiere bei Notrufzentralen und Verwandten ließ sich ein Teil der Geschehnisse an Bord des Flugs rekonstruieren. Demnach erhielten die Fluggäste Nachrichten über die kurz zuvor entführten Flugzeuge. Sie kamen zu dem Schluss, dass die Terroristen keine Forderungen stellen würden, sondern eine ähnlichen Todesmission verfolgten wie die anderen Flüge. Die Ereignisse spielten sich innerhalb von ca. 90 Minuten ab, von der Entführung des ersten Flugzeugs bis zur Bruchlandung von „United 93“ (Originaltitel). Unter der Regie des Iren Paul Greengrass ist die Geschichte dieses vierten Flugzeugs nun verfilmt worden. Der Film hält sich soweit möglich an die bekannten Fakten, erfindet jedoch Dialoge und Szenen im Flugzeug dazu, von denen man nur annehmen kann, dass sie sich so oder ähnlich abgespielt haben. Manche Angestellte der Flugsicherheit spielen sich dabei selbst, die anderen Rollen sind mit unbekannten Schauspielern besetzt.

Es scheint ein Morgen wie jeder andere zu sein, bei der Flugaufsichtszentrale ebenso wie bei den Mitarbeitern der Flughäfen. Ungefähr 40 Passagier besteigen ihre Maschine, die Crew kümmert sich um die Startvorbereitungen. Doch in immer wieder parallel gezeigten Szenen bereitet der Film den Zuschauer auf die Katastrophe vor. Zunächst sind es nur merkwürdige Stimmen aus dem Cockpit von American Airlines Flug 11, doch langsam brechen weitere Flugzeuge den Funkverkehr ab und verlassen ihren regulären Kurs. Minute für Minute bekommt man zu sehen, wie die Flugsicherheit versucht, die Situation richtig einzuschätzen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wie etwa das Militär einzuschalten. Doch, soviel ist bekannt, dies alles dauerte zu lange. Bevor auch nur ein Militärflugzeug in der Luft war, standen die Türme des WTC in Flammen, ebenso wie das Pentagon, und auch „Flug 93“ war nicht mehr in der Luft.

Mit kühler Präzision erzählt der Film von den Vorgängen hinter den Kulissen, ohne dabei mit dem Finger auf angeblich Schuldige zu zeigen. Die Menschen machen ihren Job, sie sind konzentriert bei der Arbeit. Und doch sind sie überfordert, denn für ein solches Szenario gab es keine einstudierten Maßnahmen. Fassungslos sehen die Lotsen mit an, wie die zweite Maschine über der Skyline New Yorks auftaucht und in einem Bogen auf das WTC zufliegt. An Bord von Flug 93 sind die vier Attentäter inzwischen zur Tat geschritten. Sie überwältigen und töten den Piloten und seinen Kopiloten, bedrohen die Passagiere mit Messern und einer Bombe. Weil der Film auf herkömmliche Figurenzeichnung verzichtet, kennt das Publikum niemanden an Bord genauer. Man sieht wie die Menschen um Fassung ringen, telefonieren, und schließlich die Entscheidung fällen, ihre Kidnapper anzugreifen. Diese finalen Szenen des Films sind von großer Spannung, selbst wenn das Ende der Geschichte bekannt ist. Ohne einzelne Personen als Helden auszumachen zeigt „Flug 93“ das letzte Aufbäumen der Opfer gegen ihre Mörder.

Als überzeugende Rekonstruktion dieser Geschehnisse des 11. September ist Paul Greengrass Film wertvoll für all jene, die einen Blick hinter die immer wieder gezeigten Bilder vom Einsturz des WTC werfen wollen. Weil der Film in dem Moment des Aufpralls endet wird zudem niemand politische Einwände erheben können, denn zu diesem Zeitpunkt war von Osama Bin Laden, Afghanistan oder Irak noch nicht die Rede. Die Katastrophe war gerade erst passiert. Doch diese Wiederaufführung der Ereignisse bleibt aus demselben Grund (und trotz aller stark gespielten Szenen) ein wenig blass. Die vier Flugzeugentführungen am 11.09.2001 haben die Welt verändert, und werden eben deshalb nicht so schnell aus den Köpfen der Menschen verschwinden. In Greengrass‘ Film ist von der historischen Wirkung der Anschläge nichts zu spüren, und so scheint die Diskussion darüber, ob der Film „zu früh“ kommt, reichlich sinnlos. Für Angehörige der Opfer stellt sich die Frage nach der Zumutbarkeit, für alle anderen jedoch nur bedingt. Ich selbst fand diese Rekonstruktion im positiven Sinne interessant. Trotzdem ist „Flug 93“ kein Film, den man gesehen haben muss. Er enthält sich jedes Kommentars, der den Film erst zu einem Stück großen Kinos machen könnte. Eine interessante Geschichtsstunde ist er jedoch allemal

7/10