Krass

Man schreibt das Jahr 1972. Augusten Burroughs (Joseph Cross) hat es nicht leicht. Seine Mutter Deirdre (Annette Bening) ist eine neurotische Frau, die erfolglos an einer Karriere als gefeierte Dichterin arbeitet, sein Vater Norman (Alec Baldwin) ist ein stoischer Trinker, der zwar Geld nach Hause bringt, aber emotional kaum anwesend ist. Die Rettung soll Dr. Finch bringen, gespielt von Brian Cox als exzentrischer Psychologe mit merkwürdigen Methoden. Die Dinge entwickeln sich aber eher zum Schlechten, und bald findet sich Augusten als unfreiwilliges Mitglied der Finch-Familie wieder, während Mutter Deirdre auf einen Selbsterkenntnistrip geht und Norman sich gleich ganz aus dem Staub macht. Im chaotischen Hause Finch ist nichts unmöglich wie Augusten bald feststellen muss. Die Familie, bestehend aus den Töchter Hope (Gwyneth Paltrow) und Natalie (Evan Rachel Wood), sowie deren Mutter Agnes, fristet in ihrem vollgemüllten Haus eine beeindruckend verstörende Existenz. Als wäre seine biologische Familie nicht schon Strafe genug gewesen muss Augusten sich der schwierigen Aufgabe des Erwachsenwerdens in dieser ungewohnten Umgebung stellen, in der die Konventionen der „normalen“ Welt keine Gültigkeit besitzen. Agnes nascht gern Hundefutter, Hope ist eine unzugängliche Träumerin, der Doktor selbst entdeckt schon mal einen Wink des Schicksals in einem Haufen Scheisse.

Obwohl „Running with Scissors“ (Originaltitel)viele sehr gute Leistungen seiner Darsteller zu bieten hat und einige bemerkenswerte Szenen parat hat, ist er doch leider kein guter Film geworden. Regisseur Ryan Murphy zeigt uns gleich mehrere hochinteressante Figuren, die allesamt der Autobiographie des realen Augusten Burroughs entstammen. Und doch ist zu wenig Leben in seinem Film, die Handlung gleicht einer Versuchsanordnung mit bereits bekannten Ausgang. So geht dem Geschehen echte Spannung oder Dramatik ab, auch weil der Erzählton zwischen tragischem Ernst und absurdem Humor hin und her wechselt. Der erklärende Off-Kommentar kann diesem Eindruck nicht entscheidend entgegen wirken.

Ein bißchen erinnert der Film an Wes Andersons „The Royal Tenenbaums“, allerdings ohne dessen einzigartigen Witz und die bei aller Verschrobenheit liebenswürdigen Charaktere. „Krass“ ist näher an der Realität, immerhin basiert er auf realen Erlebnissen. Die Geschichte ist insgesamt aber zu zäh, zerfahren und anstrengend, um überzeugen zu können. Einige starke Szenen und Dialoge (etwa zwischen Deirdre und Augusten) können nicht verhindern, dass man sich schon nach gut der Hälfte des Films sein Ende herbeiwünscht. Wer an Arthouse-Dramen grundsätzlich Gefallen findet, der mag hier fündig werden und sich von den Darstellern begeistern lassen. Für alle anderen empfiehlt es sich, einen Blick ins Programmheft zu werfen. Irgendwas anderes wird ja schließlich auch noch laufen.

4/10