The Visitor – Ein Sommer in New York

Großes Kino muss nicht teuer sein, und bekannte Schauspieler sind dafür auch nicht zwingend erforderlich. Thomas McCarthys „The Visitor“ führt einem diese Binsenweisheit wunderbar vor Augen. Der Film ist im besten Sinne schnörkellos, was auch auf den Hauptdarsteller Richard Jenkins zutrifft. Jenkins, Jahrgang 1946, ist eigentlich eher auf Nebenrollen abonniert, am ehesten kennt man ihn aus der TV-Serie „Six Feet Under“. In „The Visitor“ spielt er den wortkargen Wirtschaftsprofessor Walter Vale.

Walter führt nach dem Tod seiner Frau ein ruhiges, einsames Leben in Connecticut. Offiziell schreibt er an seinem vierten Buch, tatsächlich verbringt er seine Zeit meist mit Rotwein und klassischer Musik. Weil eine Kollegin ausfällt muss Walter auf eine Konferenz nach New York, wo er ein Apartment besitzt, das er seit Jahren nicht genutzt hat. Zur Überraschung des Professors steht die Wohnung aber nicht leer, sondern wird von einem jungen Pärchen bewohnt. Tarek und Zainab, Einwanderer aus Syrien bzw. dem Senegal, staunen nicht schlecht über den unerwarteten Besuch des Besitzers – sie haben die Wohnung von einem „Makler“ namens Ivan gemietet und keinen Schimmer, dass sie böse getäuscht wurden.

Nach einem kurzen, klärenden Gespräch ist Walter wieder allein mit sich, entscheidet dann aber schnell, den beiden wenigstens für die Nacht weiter Asyl zu gewähren. Aus einer Nacht wird eine Woche, in der die ungewöhnliche Wohngemeinschaft zu funktionieren scheint. Der sympathische und lebenslustige Tarek verdient mit seiner Dschemba (eine afrikanische Trommel) als Straßen- und Barmusikant seinen Lebensunterhalt. Und ehe er sich versieht ist auch Walter von dem Instrument fasziniert und lässt sich von Tarek zeigen, wie man es spielt. Zunächst hölzern und steif, später mit viel Elan, beginnt der Klassikliebhaber das Trommeln.

Die Handlung nimmt an dieser Stelle eine abrupte Wendung. Tarek wird wegen einer Lappalie festgenommen, als illegalem Einwander droht ihm die Abschiebung. Zainab, selbst illegal im Land, kann ihn nicht besuchen, Walter ist bald seine einzige Verbindung zur Außenwelt. Später erfährt auch Tareks Mutter Mouna in Michigan vom Schicksal ihres Sohnes, und auch sie wohnt bald in Walters Wohnung.

Was klingt wie ein zähes Drama um Einwanderer und Einsamkeit wird in „The Visitor“ zu einem herrlich gespielten, geradezu leichtfüßigen Film. Aus dem Einsiedler Walter wird langsam, aber sicher ein Sympathieträger. Richard Jenkins‘ zurückgezogenes Spiel vermittelt treffsicher das Innenleben seiner Figur, und die immer glaubwürdige Wandlung, die er durchmacht.

Die ruhige Erzählweise vermeidet spektakuläre Höhepunkte, die den Fluss der Geschichte stören könnten. Wie es in Filmen (zumal aus Hollywood) viel zu selten der Fall ist, entfaltet sich die Handlung scheinbar aus sich selbst heraus, ohne die üblichen Tricks und Kniffe moderner Drehbuchautoren. Die Dialoge vereinen dabei auf wunderbare Weise Humor und Glaubwürdigkeit.

Weil Thomas McCarthy für Drehbuch und Regie verantwortlich zeichnet kann man „The Visitor“ durchaus als Autorenkino bezeichnen. Ähnlich wie etwa bei den Filmen von Jim Jarmusch (wenn auch inhaltlich nicht vergleichbar) merkt man, dass niemand in Story oder Inszenierung reingeredet hat. Wäre „The Visitor“ ein Mainstream-Film geworden, wäre von Anfang bis Ende sicher alles anders, aber nichts besser.

5/5

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