Es gibt fast jedes Jahr zur Oscar-Saison einen Film, der irgendwie anders ist und den deshalb (oder trotzdem) alle mögen. Vor ein paar Jahren war das „Slumdog Millionaire“, letztes Jahr „The King’s Speech“, dieses Jahr ist es „The Artist“. Und das verwundert auch nicht wirklich, als Stummfilm anno 2012 hat er ein Alleinstellungsmerkmal, dass anderen Filmen abgeht.
Der Film des französischen Regisseurs Michel Hazanavicius erzählt die (fiktive) Geschichte des Stummfilm-Stars George Valentin (Jean Dujardin). Man schreibt das Jahr 1927, in dem Valentin auf dem Höhepunkt seines Erfolgs ist. Zufällig lernt er die junge Schauspielerin Peppy Miller (Bérénice Bejo) kennen, die beiden flirten intensiv miteinander – aber Valentin ist (unglücklich) verheiratet. Die beiden verlieren sich wieder aus den Augen. Peppy arbeitet sich zum neuen Star in Hollywood empor, für Valentin geht es bergab. Der Tonfilm ist groß im Kommen, doch der Star will von den Talkies nichts wissen.
Ob „The Artist“ ein außergewöhnlich guter Stummfilm ist kann ich nicht so genau sagen, ich habe in meinem Leben vorher erst drei gesehen. Sicher ist, dass der Film witzig und rührend ist, und seine Hauptdarsteller äußerst charmant. Jean Dujardin kann mit dem kompletten Gesicht lächeln, aber auch vortrefflich Trübsal blasen. Bérénice Bejo schmeisst sich mit Hingabe in klassische Hollywood-Stummfilmposen, lacht, tanzt und leidet – verleiht ihrer Figur dabei aber auch eine sehr sympathische Bescheidenheit.
Das Drehbuch gefällt mit Witz und guten Einfällen, schafft es aber, dass die eigentliche Geschichte darüber nicht in den Hintergrund gedrängt wird. In zwei kurzen (und großartigen) Szenen setzt bei „The Artist“ kurz normaler Ton ein, ansonsten ist ein schöner Soundtrack zu hören. Weil der nicht einmal besonders laut läuft und der Film einige absolut stille Momente hat, sitzt man im Kino häufiger mal da und traut sich kaum zu rühren – geschweige denn Chips zu knabbern.
Das Bildformat von 4:3 ist heutzutage sehr ungewöhnlich, passt aber natürlich ins historische Bild. Die Bilder wurden technisch ein bißchen auf alt getrimmt, etwas verwaschen und nicht ganz gestochen scharf, auch das sicher eine Verneigung vor der Ära, die „The Artist“ so liebevoll portraitiert.
Ob diese gelungene Hommage einen Oscar verdient hat, darüber wird in Hollywood längst gestritten. Für einige Kritiker besitzt er zuwenig Anspruch und Tiefe, um für den größten Preis der Branche in Frage zu kommen. Mir persönlich ist diese Debatte recht egal – der Film bietet perfekte Unterhaltung, mehr muss wie ich finde auch nicht (immer) sein. Und wenn man sich die Oscar-Gewinner der letzten Jahre anguckt wird ohnehin schnell klar, dass keineswegs immer die besten Filme – oder die für die Entwicklung des Kinos bedeutendsten – gewonnen haben.
4/5